(Wann) wird das Steuerrecht vereinfacht?
Eine Expertenkommission hat sich Gedanken gemacht über ein bürgernahes Einkommensteuersystem.

(Wann) wird das Steuerrecht vereinfacht?

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Im September 2023 hat das Bundesfinanzministerium (BMF) zwei unabhängige Expertenkommissionen eingesetzt, die konkrete Vorschläge für praxisnahe und politisch umsetzbare Lösungen für ein modernes und zukunftsfestes Steuerrecht erarbeiten sollten. Jetzt liegen die Ergebnisse vor.

Die beiden Expertenkommissionen »Vereinfachte Unternehmensteuer« und »Bürgernahe Einkommensteuer« haben am 12. Juli 2024 ihre Berichte an Bundesfinanzminister Christian Lindner übergeben.

Im Folgenden fassen wir die Vorschläge der Expertenkommission »Bürgernahe Einkommensteuer« zusammen. Sie beschäftigte sich mit Ideen zur Steuer-Vereinfachung für Arbeitnehmer, Rentner und Pensionäre, Freiberufler, Selbstständige und Gewerbetreibende.

 

Inhalt

 

Arbeitsauftrag und Ziel der Expertenkommission

Fast jeder in Deutschland hat auf die eine oder andere Weise mit dem Thema Einkommensteuer zu tun, muss eine Steuererklärung erstellen und hat gelegentlich Kontakt mit dem Finanzamt.

Dabei stellt sich natürlich die Frage, wie diese Interaktion zwischen den Steuerpflichtigen und dem Staat bzw. konkret der Finanzverwaltung ausgestaltet werden kann, damit es für alle Beteiligten nicht allzu kompliziert wird. Die Überlegungen betreffen sowohl die Ausgestaltung von Steuergesetzen als auch die Diskussion über die Steuerbelastung und Abgabenbelastung sowie die technische Abwicklung der Steuererhebung.

Häufig werden diese Fragen unter dem Blickwickel der Bürgerfreundlichkeit diskutiert. Und genau darum ging es auch bei der Arbeit der Expertenkommission. Sie sollte sich Gedanken machen über ein bürgernahes Einkommensteuersystem, das sich stark auf die Bedürfnisse der Bürger konzentriert und berücksichtigt, was die Steuerzahler von den Dienstleistungen der Finanzverwaltung erwarten, damit sie ihre steuerlichen Pflichten einfach erfüllen können.

Abschaffung der Gewerbesteuer?

Die Gewerbesteuer ist aus Sicht des Steuersystems problematisch, schreibt die Kommission. Zwar gibt es mit § 35 EStG eine Regel, die eine Steuerermäßigung für Einkommen aus gewerblichen Betrieben vorsieht. Diese Regel ist jedoch sehr komplex und anfällig für Gestaltung.

Die Unterscheidung zwischen verschiedenen Arten von Gewinneinkünften und die unzureichende Regelung der Steuerermäßigung könnten vermieden werden, wenn die Gewerbesteuer abgeschafft würde – so der Gedanke der Experten.

Das würde jedoch auch weitreichende Änderungen in anderen Bereichen erfordern, zum Beispiel eine vollständige Neugestaltung der Kommunalfinanzen: Die Gewerbesteuer geht an die Gemeinde, in deren Einzugsgebiet der Gewerbebetrieb ansässig ist. Darauf werden die Gemeinden weder verzichten wollen noch können. Eine Abschaffung der Gewerbesteuer ist also faktisch ausgeschlossen.

Die Expertengruppe empfiehlt deshalb dem Gesetzgeber, mehr Gebrauch von Typisierungen und Pauschalierungen zu machen. Diese soll insbesondere dort angewendet werden, wo es darum geht, die Erwerbssphäre von der Privatsphäre abzugrenzen.

Vorschläge für Landwirte, Gewerbetreibende, Freiberufler und andere Selbstständige

Die Expertengruppe schlägt vor, dass Landwirte, Gewerbetreibende, Freiberufler und andere Selbstständige alle unter einer einheitlichen »unternehmerischen Einkommensart« zusammengefasst werden sollten. Dies würde dazu beitragen, die schwierigen Fragen zu klären, die sich bei der Unterscheidung zwischen den verschiedenen Arten von Einkommen ergeben.

Die Grenzen für die Bilanzierungspflicht und die Umsatzsteuer nach eingegangenen Zahlungen sollten aufeinander abgestimmt werden, um das Steuersystem zu vereinfachen. Die Kommission empfiehlt, die Grenzen für die vereinfachte Gewinnermittlung mit der Einnahmen-Überschuss-Rechnung und die Ist-Besteuerung auf einen Umsatz von 1.000.000 Euro und einen Gewinn von 200.000 Euro zu erhöhen.

§ 13a EStG (Ermittlung des Gewinns aus Land- und Forstwirtschaft nach Durchschnittssätzen) soll gestrichen werden.

Die Möglichkeit der Inanspruchnahme einer prozentualen Betriebsausgabenpauschale soll in einer im EStG gesetzlich zu verankernden Regelung generalisiert werden.

Die Grenze für geringwertige Wirtschaftsgüter (GWG) soll im Hinblick auf die in den nächsten Jahren zu erwartenden Preissteigerungen auf 2.500 Euro festgesetzt werden.

Die Experten lehnen zudem die bestehende Überschneidung der Abschreibungsmethoden zwischen der GWG-Sofortabschreibung und der Poolabschreibung ab. Sie schlagen vor, für Wirtschaftsgüter zwischen 2.500 Euro und 10.000 Euro eine Poolabschreibung über drei Jahre vorzunehmen.

Die Aufzeichnungspflichten zwischen GWG und Sammelposten (Poolabschreibung) sollen gleichgestellt, auf laufend zu führende Verzeichnisse soll verzichten werden.

Auch die Gruppierung von Wirtschaftsgütern nach Nutzungsdauern anstelle der bisherigen AfA-Tabellen sollte überlegt werden.

Auch bei Freiberuflern, Gewerbetreibenden und Selbstständigen befürworten die Experten die Einführung der Arbeitstagepauschale (s.u.: Arbeitnehmer), um eine gleichmäßige Besteuerung zu gewährleisten. Sie schlagen vor, dass die Kosten für ein häusliches Arbeitszimmer nicht mehr gesondert als Betriebsausgaben abzugsfähig sind, sondern durch den Abzug einer Arbeitstagepauschale ausgeglichen werden.

Die Mehrheit der Expertenkommission schlägt zudem vor, zuverlässigen Steuerpflichtigen einen erleichterten Zugang zu Stundung und Ratenzahlungen zu ermöglichen.

Vorschläge für Arbeitnehmer

Die Expertengruppe schlägt vor, dass Kosten für Fahrten zur Arbeit, Home-Office und das Arbeitszimmer zu Hause zu einer festen Tagespauschale zusammengefasst werden sollten. Die Höhe dieser Tagespauschale soll vom Gesetzgeber festgelegt werden.

Für Pendler, die weite Strecken zurücklegen, schlagen die Experten vor, dass sie die Möglichkeit haben sollten, gefahrene Kilometer, die nicht durch die Tagespauschale abgedeckt sind, mit einer festen Cent-Pauschale pro Kilometer steuerlich geltend zu machen. Die Entscheidung, ab welcher Entfernung diese Regelung greift, soll beim Gesetzgeber liegen.

Auf die Unterscheidung zwischen häuslichem Arbeitszimmer und Home-Office soll verzichtet werden. Die Experten schlagen vor, auf zusätzliche Kosten für ein häusliches Arbeitszimmer zu verzichten, um den Kontrollaufwand zu reduzieren und die Privatsphäre zu schützen.

Die Tagespauschale und die Regelung für Fernpendler soll auch für Arbeitnehmer gelten, die keine sogenannte »erste Tätigkeitsstätte« haben, sodass sie letztendlich allen Arbeitnehmern zugutekommen. Nur Dienstreisen im herkömmlichen Sinne würden noch eine gesonderte Regelung neben der Tagespauschale benötigen.

Um die Anzahl Steuererklärungen von Arbeitnehmern so gering wie möglich zu halten, sollten weitere Werbungskosten (z.B. Arbeitsmittel, Beiträge zu Berufsverbänden usw.) mit geringeren Beträgen pauschal berücksichtigt werden. Die Expertengruppe skizziert *im Abschlussbericht verschiedene Möglichkeiten, wie dies umgesetzt werden könnte.

Vorschläge für Rentner und Pensionäre

Um viele Rentner von der Steuererklärungspflicht zu befreien, schlägt die Expertenkommission die Einführung einer Rentenabzugsteuer auf alle Renteneinkünfte vor. Diese soll direkt von den Rentenversicherungen einbehalten werden. Die Höhe soll sich nach der Höhe der Renteneinkünfte des Vorjahres richten.

Die Rentenabzugsteuer könnte schrittweise eingeführt werden, zunächst nur für Steuerpflichtige ohne zusätzliche Einkünfte, die nicht dem Steuerabzug unterliegen. Nach einer Übergangsphase soll diese Steuer auch für Pensionen und andere Altersbezüge gelten, die bisher der Lohnsteuer unterliegen.

Zusätzlich schlägt die Expertengruppe vor, einen Pauschbetrag für Rentner einzuführen. Dieser Betrag soll 102 Euro für Einzelpersonen und 204 Euro für zusammen veranlagte Personen betragen. So hoch ist heute der Werbungskosten-Pauschbetrag für Rentner.

Falls dieser Pauschbetrag nicht angewendet werden soll, könnte stattdessen eine Regelung eingeführt werden, nach der Werbungskosten abgezogen werden können, wenn sie das Dreifache des Pauschbetrags übersteigen.

Es sollte auch geprüft werden, ob es einen einheitlichen Pauschbetrag für Renten und Pensionen geben sollte, um Ungleichbehandlungen zu vermeiden.

Änderung bei Sonderausgaben

Mit dem Thema »Sonderausgaben« beschäftigt sich die Expertenkommission ausführlich in einem eigenen Abschnitt. Insgesamt schlägt sie vor, die derzeitige Regelung zu vereinfachen, denn die aktuelle Regelung gehe über das Ziel hinaus, nur das tatsächlich verfügbare Einkommen zu besteuern, und berücksichtige stattdessen auch andere Ziele wie etwa soziale Lenkung.

Allerdings wären hierbei zum Teil umfassende Abstimmungen mit anderen Rechtsgebieten, insbesondere dem Sozialrecht, erforderlich, so dass sich die Vorschläge der Expertenkommission auf punktuelle Verbesserungen beschränken:

  • Altersvorsorgeaufwendungen sollen nicht mehr als Sonderausgaben, sondern als Werbungskosten abziehbar sein. Dies hätte den Vorteil, dass auch Personen, die in einem Jahr kein positives Einkommen haben, ihre Altersvorsorgeaufwendungen steuerlich geltend machen könnten.

  • Kinderbetreuungskosten sollen weiterhin als Sonderausgaben behandelt werden, obwohl sie grundsätzlich auch als Werbungskosten gelten könnten. Die Daten zeigen, dass nur wenige Steuerpflichtige mit Kindern Kosten von mehr als 4.000 Euro geltend gemacht haben. Daher sehen die Experten keinen Grund, den Höchstbetrag zu erhöhen.

  • Die aktuelle Regelung für den Abzug von Spenden an politische Parteien soll gestrichen und stattdessen der Höchstbetrag für den Abzug von Spenden so angepasst werden, dass er der aktuellen Gesetzeslage entspricht. Dies würde dazu führen, dass Parteien und Wählervereinigungen gleich behandelt werden.

  • Es soll geprüft werden, wie der Abzug der Kirchensteuer in das Lohnsteuerabzugsverfahren integriert werden kann.

  • Der Pauschbetrag für Sonderausgaben von derzeit 36 Euro soll erhöht werden auf 850 Euro. Der aktuelle Betrag, sagen die Experten, ist zu niedrig und verfehlt daher sein Ziel, die Steuererklärung zu vereinfachen.

Aufwendungen für haushaltsnahe Beschäftigungsverhältnisse, haushaltsnahe Dienstleistungen und Handwerkerleistungen

Die Expertenkommission empfiehlt mehrheitlich, den gesamten § 35a EStG abzuschaffen. Aufwendungen für haushaltsnahe Beschäftigungsverhältnisse, haushaltsnahe Dienstleistungen und Handwerkerleistungen würden dann steuerlich nicht mehr berücksichtigt. Damit würde ein beliebtes Steuer-Spar-Instrument komplett wegfallen.

Argument der Experten: Obwohl diese Regelung ursprünglich zur Bekämpfung der Schwarzarbeit eingeführt wurde, gibt es bisher keine Beweise dafür, dass sie tatsächlich dazu beigetragen hat, die Schwarzarbeit nennenswert zu reduzieren. Stattdessen zeigen Untersuchungen, dass viele Menschen diese Regelung ausnutzen, was zu hohen Kosten für die Förderung führt.

Zusätzlich wird diese Regelung von der Finanzverwaltung kaum effizient kontrolliert. Sie wirkt auch einer Vereinfachung des Steuersystems entgegen, da die Steuervergünstigung voraussetzt, dass der Steuerpflichtige eine Steuererklärung abgibt.

Digitalisierung

Beim Thema »Digitalisierung« wird – wenig überraschend – festgestellt, dass es keine umfassende Strategie für die Digitalisierung des Steuerverfahrens gibt, die klare Ziele, Richtungen, Eckpunkte und Meilensteine für die Umsetzung enthält.

Als Hauptprobleme werden, abgesehen von finanziellen und kapazitären Aspekten, insbesondere das Fehlen einer Bündelung von Kompetenzen, das Aufrechterhalten von Insellösungen und spezifischen Programmierungen sowie das Fehlen von einheitlichen und frühzeitig mit den Akteuren abgestimmten Architekturen, Datenstrukturen und Prozessen ausgemacht.

Die Kommission empfiehlt, sich insbesondere mit den Handlungsfeldern Plattformstrategie, Prozessmanagement, Datenmanagement, Portalstrategie und Change-Management auseinanderzusetzen und zählt eine Reihe an Vorschlägen auf, die zu einer (technisch) besseren Zusammenarbeit zwischen Steuerpflichtigen und Finanzverwaltung führen könnten.

Zusammenfassung und Fazit der Expertengruppe

Die Expertengruppe glaubt, dass die Kosten für die Steuerzahler erheblich gesenkt werden können, indem die Anzahl der Antragsveranlagungen reduziert, eine Amtsveranlagung eingeführt, die Buchführungspflichten reduziert und die Steuern stärker an der Quelle erhoben werden.

Eine verbesserte Bürgernähe würde dabei sowohl direkt die bürokratischen Kosten für Steuerzahler und Finanzverwaltung reduzieren sowie das Verhältnis zwischen Bürgern, Staat und Finanzverwaltung verbessern.

Die Expertengruppe stellte allerdings auch fest, dass die aktuellen Steuerdaten nicht ausreichen, um qualifizierte empirische Analysen durchzuführen. Sie hat daher das Bundesministerium der Finanzen (BMF) gebeten, die Datenlage deutlich zu verbessern.

Außerdem weist die Expertengruppe darauf hin, dass die erarbeiteten Vorschläge nur ein erster Schritt für eine grundlegende Überarbeitung des Einkommensteuergesetzes sein können – aufgrund der engen zeitlichen Vorgaben habe man nur punktuelle Verbesserungsvorschläge unterbreiten können. Die Expertengruppe spricht sich daher für die Einsetzung einer umfassenden Steuerreformkommission aus.

Wir sind gespannt, ob (und ggf. wann) es dazu kommt und werden dann zu gegebener Zeit darüber berichten!

 

(Bild im Titel: Detlev-Rohwedder-Haus, Hauptsitz des Bundesministeriums der Finanzen; Quelle: BMF/Hendel)

(MB)

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