Wirecard-Aktionäre: BGH stuft Ansprüche im Insolvenzverfahren als nachrangig ein
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Im Insolvenzverfahren der Wirecard AG hat der Bundesgerichtshof (BGH) Schadensersatzansprüche von Aktionären wegen Täuschung beim Aktienkauf nicht als reguläre Insolvenzforderungen anerkannt. Sie sind nachrangig und werden erst berücksichtigt, wenn nach der Verteilung an die übrigen Gläubiger noch Geld übrig ist.
Zusammenfassung
Die rechtlichen Möglichkeiten für Wirecard-Anleger sind nach dem BGH-Urteil stark eingeschränkt. Im Insolvenzverfahren sind die Chancen auf eine Auszahlung minimal. Es bleibt die Option, Ansprüche gegen andere Beteiligte außerhalb des Insolvenzverfahrens zu prüfen und steuerliche Verluste zu verwerten.
Inhalt
Worum geht es im Wirecard-Verfahren vor dem BGH?
Die börsennotierte Wirecard AG wurde im August 2020 insolvent. Rund 50.000 Aktionäre meldeten Schadensersatzforderungen in Milliardenhöhe an, weil sie beim Kauf der Wirecard-Aktien getäuscht worden seien.
Die Klägerin im jetzt vom Bundesgerichtshof (BGH) entschiedenen Fall, eine Kapitalanlagegesellschaft, hatte Aktien von Wirecard gekauft und behauptete, die Gesellschaft habe ein falsches Geschäftsmodell und eine falsche Finanzlage vorgetäuscht. Sie meldete ihre Ansprüche als »einfache Insolvenzforderungen« an, um am Insolvenzverfahren teilzunehmen.
Der Insolvenzverwalter und andere Gläubiger bestritten die Behauptungen und argumentierten, dass Aktionärsansprüche nachrangig seien und erst berücksichtigt werden, wenn nach der Verteilung an die regulären Gläubiger noch Geld übrig ist.
Was hat der BGH im Wirecard-Prozess entschieden?
Der Bundesgerichtshof entschied, dass Schadensersatzansprüche von Aktionären, die auf Täuschung beim Aktienkauf beruhen, nicht als einfache Insolvenzforderungen nach § 38 der Insolvenzordnung gelten. Solche Ansprüche sind eng mit der Aktionärsstellung verbunden und werden im Insolvenzverfahren nachrangig behandelt.
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Das bedeutet, Aktionäre erhalten erst dann Geld, wenn alle anderen regulären Gläubiger bedient wurden.
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Der Grund: Die Insolvenzordnung sieht vor, dass Forderungen von Gesellschaftern, die mit ihrer Beteiligung an der Gesellschaft zusammenhängen, hinter denen der normalen Gläubiger stehen.
Aktionäre tragen damit das Risiko ihrer Investition und können im Insolvenzfall nicht gleichrangig mit anderen Gläubigern Ansprüche geltend machen (BGH, Urteil vom 13.11.2025, Az. IX ZR 127/24).
Welche Folgen hat das Urteil für Wirecard-Aktionäre?
Anleger, die Wirecard-Aktien gekauft haben und Schadensersatz wegen Täuschung fordern, haben im Insolvenzverfahren kaum Chancen auf eine Auszahlung. Ihre Ansprüche werden erst nach allen anderen Gläubigern berücksichtigt und sind damit praktisch wertlos, solange die Insolvenzmasse nicht ausreicht.
Konkret bedeutet das:
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Nachrangige Behandlung der Ansprüche Schadensersatzforderungen von Aktionären, die auf Täuschung beim Aktienkauf beruhen, werden im Insolvenzverfahren nicht als reguläre Insolvenzforderungen anerkannt. Sie gelten als nachrangige Forderungen. Das bedeutet: Erst wenn alle anderen Gläubiger (z.B. Banken, Lieferanten, Anleihegläubiger) vollständig bedient wurden, können Aktionäre mit ihren Ansprüchen berücksichtigt werden.
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Geringe Aussichten auf Auszahlung Da die Insolvenzmasse von Wirecard deutlich geringer ist als die Summe aller angemeldeten Forderungen, ist es sehr unwahrscheinlich, dass nach der Verteilung an die regulären Gläubiger noch Geld für die nachrangigen Aktionärsansprüche übrig bleibt. Anleger müssen daher damit rechnen, dass sie im Insolvenzverfahren leer ausgehen.
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Kein Gleichrang mit anderen Gläubigern Das Urteil stellt klar, dass Aktionäre nicht gleichrangig mit anderen Gläubigern behandelt werden, selbst wenn sie durch Täuschung zum Aktienkauf verleitet wurden. Die Risiken der Beteiligung als Aktionär liegen letztlich bei den Anlegern selbst.
Was können Anleger jetzt noch tun?
Anleger können ihre Schadensersatzansprüche weiterhin zur Insolvenztabelle anmelden. Allerdings werden diese Ansprüche erst berücksichtigt, wenn nach der Verteilung an die regulären Gläubiger noch ein Überschuss vorhanden ist. Die Chancen auf eine Auszahlung sind daher sehr gering.
Es bleibt die Option, Ansprüche gegen andere Beteiligte außerhalb des Insolvenzverfahrens zu prüfen und steuerliche Verluste zu verwerten. Neben Wirecard selbst zählen auch die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young (EY) und die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) zu den verantwortlichen Akteuren (mehr zu den Erfolgsaussichten siehe unten).
Ansprüche gegen den Wirecard-Vorstand prüfen: Wie geht das?
Ansprüche gegen Vorstände setzen voraus, dass diese ihre gesetzlichen oder satzungsmäßigen Pflichten verletzt haben. Bei Wirecard wurde z.B. festgestellt, dass Vorstände ihre Informationspflichten gegenüber dem Kapitalmarkt verletzt und den Markt nicht rechtzeitig über Bilanzmanipulationen informiert haben. Relevant sind insbesondere:
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Sorgfaltspflichten (§ 93 Aktiengesetz)
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Publizitätspflichten (z.B. Ad-hoc-Mitteilungen nach § 15 WpHG bzw. Art. 17 MAR)
Anleger müssen dann darlegen, dass der Vorstand vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt und dadurch einen Schaden verursacht hat.
Voraussetzung ist zudem, dass ein Zusammenhang zwischen der Pflichtverletzung und dem entstandenen Schaden besteht.
Lohnt sich das?
Anleger können Ansprüche gegen ehemalige Wirecard-Vorstände prüfen, indem sie Pflichtverletzungen nachweisen, die zu ihrem Schaden geführt haben. Eine solche Klage erfolgt zivilrechtlich, oft im Rahmen von Musterverfahren.
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Die Beweislast liegt beim Anleger. In der Praxis ist der Nachweis einer vorsätzlichen oder fahrlässigen Pflichtverletzung oft schwierig. Es müssen konkrete Beweise für Fehlverhalten, Täuschung oder Missmanagement vorgelegt werden.
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Die Haftung des Vorstands ist grundsätzlich unbegrenzt, aber die tatsächliche Durchsetzbarkeit hängt von der Vermögenslage der Vorstände ab.
Die Erfolgsaussichten für eine Zivilklage gegen ehemalige Wirecard-Vorstände sind grundsätzlich gegeben, wenn Pflichtverletzungen und deren Zusammenhang mit dem Schaden nachgewiesen werden können. Die Beweisführung ist jedoch anspruchsvoll, und die Gerichte stellen hohe Anforderungen.
Die Chancen auf Schadensersatz sind also grundsätzlich vorhanden, wenn Pflichtverletzungen nachgewiesen werden können. Allerdings ist die Rechtslage komplex und umstritten. Und selbst wenn ein Urteil zugunsten der Anleger ergeht, hängt die tatsächliche Auszahlung davon ab, ob die Vorstände über ausreichendes Vermögen oder eine D&O-Versicherung verfügen.
Geschädigte, die über eine individuelle Klage nachdenken, sollten sich unbedingt anwaltlich beraten lassen, am besten von einer Anwältin oder einem Anwalt, die/der auf Bankenrecht und Kapitalanlagerecht spezialisiert ist.
So schätzen wir die Erfolgsaussichten ein
Wir haben oben bereits darauf hingewiesen, dass neben Wirecard selbst auch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) sowie die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young (EY) zu den verantwortlichen Akteuren gehören.
Bei allen drei sehen wir wenig bis gar keine Aussicht auf Erfolg:
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Klagen gegen Wirecard sind aussichtslos, denn das Unternehmen ist insolvent.Hoffnung darauf, einen Teil der Verluste ersetzt zu bekommen, könnten sich Aktionäre nur dann machen, wenn sie als gleichberechtigte Gläubiger anerkannt würden – das halten wir nach dem BGH-Urteil für unwahrscheinlich.
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Das OLG Düsseldorf hat am 27.8.2025 (Az. I-18 U 108/24) zur Haftung der BaFin im Wirecard-Skandal entschieden, dass eine Wirecard-Aktionärin keinen Schadensersatzanspruch gegen die BaFin wegen angeblicher Amtspflichtverletzungen hat. Weder das Leerverkaufsverbot noch die Strafanzeige gegen Journalisten der Financial Times wurden als Pflichtverletzung gewertet. Auch ein ursächlicher Zusammenhang zwischen den Maßnahmen der BaFin und dem Schaden der Klägerin wurde verneint. Amtshaftungsklagen gegen die BaFin sind daher ebenfalls aussichtslos
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Das Bayerische Oberste Landesgericht (BayObLG) hat am 28.2.2025 (Az. 101 Kap 1/22) entschieden, dass im Kapitalanleger-Musterverfahren (KapMuG) keine Schadensersatzansprüche gegen EY geltend gemacht werden können. Die Begründung: Die umstrittenen Bilanzen wurden nicht direkt von EY veröffentlicht, sondern von der Wirecard-Führung. Daher sind Ansprüche gegen EY im Musterverfahren »nicht statthaft« (mehr Informationen zu diesem Verfahren bei lto.de). Einzelklagen gegen EY wegen Verletzung von Prüfpflichten sind aber weiterhin möglich.
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(MB)