BGH: Sterbebegleitung ist kein Tötungsdelikt

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Ein körperlich kranker Mensch begeht Suizid. Ein Arzt begleitet ihn beim Sterben und verzichtet auf lebensrettende Maßnahmen. Das ist nicht strafbar, befand der BGH am 3.7.2019.

Ein Arzt ist danach nicht dazu verpflichtet, Patienten nach einem Suizidversuch das Leben zu retten. Zumindest, wenn die Entscheidung zum Sterben freiwillig und bewusst getroffen wurde (Az. 5 StR 132/18 und 5 StR 393/18).

Um die Bedeutung der jüngsten Sterbehilfeentscheidungen des BGH ermessen zu können, ist ein Rückblick auf eine BGH-Entscheidung aus dem Jahr 1984 notwendig (Az. 3 StR 96/84).

Auch damals, im sogenannten Fall Wittig, ging es um einen Arzt, der nach dem freiverantwortlichen Suizid-Versuch einer langjährigen Patientin keinen Rettungsversuch unternommen hatte. Die 76 Jahre alte Frau war gesundheitlich stark angeschlagen und hatte in früheren Gesprächen mehrfach ihren Wunsch zu sterben geäußert und das auch schriftlich festgehalten.

Auch damals wurde der Arzt – wie auch in den aktuellen Verfahren – vom BGH vom Vorwurf der Tötung auf Verlangen durch Nichtgewährung ärztlicher Hilfe freigesprochen. Der Freispruch erfolgte allerdings denkbar knapp und war nur den ganz speziellen Umständen des Falles zuzuschreiben, der – so der BGH – von ihm, also dem Arzt, "vorgefundenen außergewöhnlichen Grenzsituation": Die Frau war bereits durch die Einnahme des tödlichen Mittels schwer und irreversibel geschädigt, der Arzt geriet mithin in einen "Konflikt zwischen der Verpflichtung zum Lebensschutz und der Achtung des Selbstbestimmungsrechts" der Patientin.

BGH: "Wenn er diesen Konflikt dadurch zu lösen suchte, dass er nicht den von der Sterbenden stets verabscheuten Weg einer Einweisung in eine Intensivstation wählte, sondern in Respekt vor ihrer Persönlichkeit bis zum Eintritt des Todes bei ihr ausharrte, so kann diese ärztliche Gewissensentscheidung nicht als von Rechts wegen unvertretbar angesehen werden."

Grundsätzlich befand der BGH jedoch 1984, Ärzte seien in jedem Fall verpflichtet, einen Patienten nach einem Suizidversuch zu retten. Von dieser Position rückt der BGH in seinen aktuellen Entscheidungen ab.

"Entscheidend ist die Freiverantwortlichkeit des Selbsttötungsentschlusses", begründete der Vorsitzende Richter seine aktuelle Entscheidung.

Der BGH verhandelte zwei Fälle, bei denen Mediziner aus Berlin und Hamburg körperlich kranke Frauen nach der Einnahme tödlicher Medikamente bis zum Tod begleitet hatten, ohne ihnen das Leben zu retten. Sie hatten sich wegen Tötungsdelikten verantworten müssen.

In einem der beiden Fälle hatte ein 70 Jahre alter Hausarzt einer chronisch kranken 44-Jährigen sogar das starke Schlafmittel verschrieben, von dem die Betroffene eine mehrfach tödliche Dosis nahm. Nach der Einnahme informierte sie ihren Arzt, der nach der bereits komatösen Frau sah, aber keine Rettungsmaßnahmen ergriff.

Die Frau hatte seit ihrer Jugend an einer nicht lebensbedrohlichen, aber starke krampfartige Schmerzen verursachenden Erkrankung gelitten und ihren Arzt – nachdem sie bereits mehrere Selbsttötungsversuche unternommen hatte – um Hilfe beim Sterben gebeten.

Der Arzt betreute sie während ihres zwei Tage dauernden Sterbens, ohne Rettungsversuche zu unternehmen. Dies ist nicht strafbar, befand nun das Gericht. "Ein Arzt kann nicht verpflichtet werden, gegen den Willen des Suizidenten zu handeln", begründete der Vorsitzende Richter die Entscheidung.

"Eine strafrechtliche Verantwortlichkeit der Angeklagten für ihre im Vorfeld geleisteten Beiträge zu den Suiziden hätte vorausgesetzt, dass die Frauen nicht in der Lage waren, einen freiverantwortlichen Selbsttötungswillen zu bilden", erklärte das Gericht. Das Selbstbestimmungsrecht überlagere auch die Garantenpflicht, die ein Hausarzt seinem Patienten gegenüber hat, also die Pflicht ihn zu schützen.

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