Grundsicherung: Ist Erbschaft Einkommen oder Vermögen?

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Ein Bundessozialgerichtsurteil zur Berücksichtigung einer Erbschaft auf den Leistungsbezug im Grundsicherungsrecht sorgt für Klarheit.

Deutschland: Erbenland. Jährlich gehen Milliarden Euro an Hinterbliebene. Zum Teil an solche, die Leistungen der Grundsicherung erhalten. In diesen Fällen kommt es – das ergibt sich klar aus den gesetzlichen Regelungen – entscheidend darauf an, ob das Erbe als Einkommen oder als Vermögen gilt.

Das Bundessozialgericht hatte am 8.5.2019 über einen Fall zu entscheiden, in dem die Erbin ALG II bezog, als der Hinterlasser starb – und ebenfalls ALG II bezog, als ihr das Erbe wirtschaftlich zufloss. Doch: Dazwischen gab es eine Leistungspause.

Seit in Deutschland die Sozialhilfe eingeführt wurde, ist die Unterscheidung zwischen Einkommen und Vermögen für Juristen immer mal wieder ein beliebtes Streitthema. Besonders viel praktische Relevanz hat das Thema seit der Einführung des Arbeitslosengeld II durch das zweite Sozialgesetzbuch, denn hierbei gelten beim Vermögen relativ großzügige Anrechnungsbedingungen, nicht jedoch beim Einkommen.

Grundsätzlich gilt dabei das sogenannte Zuflussprinzip: Was den Betroffenen während des Leistungsbezugs zufließt, gilt als Einkommen, alles andere als Vermögen.

In dem Fall, über den das BSG zu entscheiden hatte, ging es um eine alleinerziehende Frau, die nach der Geburt ihres Kinds im Jahr 2007 bis Oktober 2009 Grundsicherungsleistungen erhielt. Am 25.6.2009 – also während des Leistungsbezugs – war ihr Großvater verstorben und sie zu 1/16 dessen Erbin.

Insgesamt ging es um ein Grundstück im Wert von 85.000,– €, auf die Klägerin entfielen ca. 5.300,– €. Da die Betroffene zum Erbzeitpunkt ALG II bezog, galt das Erbe damals grundsätzlich als Einkommen. Es kam allerdings nicht zu einer Einkommensanrechnung, da das Erbe zunächst nicht zu Geld gemacht werden konnte.

In einem solchen Falle spielt die Erbschaft auch nach der Weisungslage der Bundesagentur für Arbeit keine Rolle. Der Rechtsstreit entzündete sich aber nun, als das Geld der Enkelin im Februar 2012 tatsächlich ausgezahlt wurde.

Zu diesem Zeitpunkt bezog die Betroffene erneut ALG II, es handelte sich also um eine zweite Leistungsperiode. Zwischenzeitlich bestand eine Bezugspause von gut einem Jahr. Ab dem Zeitpunkt, in dem ihr das Geld nun zufloss, rechnete ihr das Jobcenter den erhaltenen Betrag als Einkommen an und verweigerte ihr eine Zeit lang ALG II. Die Zahlung sei als einmalige Einnahme zu werten und stehe zunächst der Annahme von Hilfebedürftigkeit entgegen.

Das sahen sowohl das zuständige Landes- als auch das Bundessozialgericht anders, denn die Erbschaft sei der Klägerin zu dem Zeitpunkt, als die bei Auszahlung noch andauernde Periode des Leistungsbezugs nach dem SGB II begann, nämlich im November 2010, schon zuzurechnen gewesen.

Damit habe es sich in dieser Leistungsperiode um Vermögen gehandelt und nicht um Einkommen. Der zugeflossene Betrag habe jedoch deutlich unter den Vermögensfreigrenzen des zweiten Sozialgesetzbuchs gelegen, daher sei der Leistungsentzug rechtswidrig gewesen (Az. B 14 AS 15/18 R).

Der vom BSG entschiedene Fall macht deutlich, dass für erbende ALG-II-Bezieher erhebliche Gestaltungsmöglichkeiten bestehen. Im Einzelfall kann schon ein relativ kurzfristiges Ausscheiden aus dem Leistungsbezug einen Formwandel des Erbes vom Einkommen zum Vermögen bewirken. Ob zwischenzeitlich der Bedarf durch Erwerbstätigkeit, Arbeitslosengeld I, eine Zeitrente oder einen Lottogewinn gedeckt wurde, spielt keine Rolle.

(MS)

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