BSG: Hinterbliebene müssen Sozialhilfe aus ihrem Erbe erstatten

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Das Bundessozialgericht nimmt lediglich Härtefälle vom Regelfall aus, dass Hinterbliebene aus ihrem Erbe vom Verstorbenen erhaltene Sozialhilfe zurückzahlen müssen.

In einem Urteil vom 27.2.2019 hat das Bundessozialgericht den (un)schönen Begriff "postmortales Schonvermögen" erfunden – allerdings nur, um auszuführen, dass ein solches nicht existiert (Az. B 8 SO 15/17 R). Worum es ging? Um eine 83-jährige Witwe, die ihr Haus verkaufen sollte, weil sie dem örtlichen Sozialamt 15.316,– € Pflegeheimkosten erstatten sollte, die dieses für den verstorbenen Ehemann der Betroffenen übernommen hatte.

Bei der Sozialhilfe gelten Regelungen zum "Kostenersatz durch Erben" (§ 102 SGB XII). Diese betreffen allerdings nicht – dies muss vorab schon klargestellt werden – die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, sondern nur die "Rest-Sozialhilfe". Die Regelungen betreffen vor allem die vom Sozialamt gewährte sogenannte "Hilfe zur Pflege", also die zum Teil jahrelange Übernahme von Pflege- bzw. Pflegeheimkosten, die von den Betroffenen selbst aus ihrem eigenen Einkommen und den Leistungen der Pflegeversicherung nicht voll geschultert werden konnten.

Hier gilt, dass Erben zum Ersatz der Kosten der Sozialhilfe verpflichtet sind, die innerhalb eines Zeitraumes von zehn Jahren vor dem Erbfall aufgewendet worden sind.

Wie viel müssen die Erben dem Amt erstatten?

Zunächst einmal müssen sie dem Sozialamt höchstens so viel erstatten, wie sie geerbt haben. Zudem gilt: Anspruch auf Kostenersatz kann das Sozialamt nur für den Teil seiner Ausgaben erheben, der 2.544,– € übersteigt (das sechsfache des Regelbedarfs eines Alleinstehenden, der Betrag gilt für 2019). Liegt das Erbe unter diesem Betrag, so kann kein Kostenersatz verlangt werden. Und: Hat der Erbe mit dem Verstorbenen in häuslicher Lebensgemeinschaft gelebt und diesen gepflegt, so sind sogar bis zu 15.340,– € aus dem Erbe vor dem Zugriff des Sozialamts geschützt. Zudem gilt eine generelle Härteklausel. Danach wird der Erbe vom Sozialamt nicht zur Kasse gebeten, wenn das "nach der Besonderheit des Einzelfalles eine besondere Härte bedeuten würde".

Was gilt, wenn ein Sozialhilfeempfänger ein Haus vererbt?

Das ist möglich und dürfte gar nicht so selten der Fall sein, denn Sozialhilfeempfängern wird nach den gesetzlichen Regeln ein kleines Hausgrundstück zugestanden. Das Bundessozialgericht (BSG) sieht für alleinstehende Sozialhilfeempfänger ein Haus mit 90 Qudratmetern Wohnfläche in der Regel als angemessen an (Urteil vom 12.12.2013, Az. B 14 AS 90/12 R). Bei einer Überschreitung dieses Wertes um 10 % geht das BSG aus "Verhältnismäßigkeitsgründen" ebenfalls noch von einer Angemessenheit aus. Für Ehepaare gelten höhere Werte.

Aber was gilt für die Erben nach dem Tod des Sozialhilfeempfängers?

Genau darum ging es in dem Fall, über den in Kassel Ende Februar dieses Jahres verhandelt wurde. Hier hatte die Witwe eines 2009 verstorbenen Mannes von diesem ein gut 15.000 Quadratmeter großes Grundstück samt (kleinem) Haus im Landkreis Osnabrück geerbt. Das Hausgrundstück war zwar unangemessen groß, allerdings wenig wert und nur deshalb so groß, weil hierauf die Kläranlage und die Zuwegung dorthin untergebracht waren. Die betagte Witwe sollte – so der Wille des Sozialamts – das Haus, in dem sie bereits seit 1964 lebte, nach dem Tode ihres Mannes verkaufen, um die 15.316,– €, die das örtliche Sozialamt zuletzt zu den Pflegeheimkosten ihres Mannes zugeschossen hatte, erstatten zu können. Die Vorinstanz, das LSG Niedersachsen-Bremen, hatte die Forderung des Sozialamtes abgelehnt, u.a. mit dem Argument, das Hausgrundstück sei zu Lebzeiten des Ehemanns als kleines Hausgrundstück vor dem Zugriff des Sozialamtes geschützt gewesen. Dieser Schutz erstrecke sich auch auf die Zeit nach dessen Tod, er wirke sozusagen "postmortal" weiter.

Sah das Bundessozialgericht das auch so?

Nein. Diesen Ansatz lehnte das BSG schlichtweg ab mit dem Argument, es gebe kein postmortales Schonvermögen. Das bedeutet: Erben von Sozialhilfeempfängern können sich – auch wenn sie selbst in dem geerbten Haus leben – nicht auf die Schutzbestimmungen berufen, die für Sozialhilfeempfänger gelten. Wenn sie nicht in dem geerbten Haus leben, muss dieses im Grundsatz ohnehin verkauft werden, wenn die Erstattungsforderungen des Sozialamtes nicht anders befriedigt werden können.

Muss die Witwe im verhandelten Fall nun das Haus verkaufen?

Vermutlich nicht. Das steht allerdings noch nicht fest. Das BSG hat dem vorab entscheidenden Landessozialgericht aufgegeben, zu prüfen, ob hier eine besondere Härte vorliegt. Das oberste Sozialgericht gab allerdings deutliche Hinweise, dass hier ein Härtefall vorliegen könnte: "Für die Annahme einer Härte können – soweit die Art der Verwertung einen Umzug erfordert – Kriterien wie Alter, Pflegebedürftigkeit, Erkrankung, Behinderung, Verwurzelung am Wohnort oder die drohende Sozialhilfebedürftigkeit wegen der Erfüllung des Ersatzanspruchs nach Verwertung des Hausgrundstückes eine Rolle spielen." Da die Witwe selbst hochbetagt ist und seit 1964 in ihrem Haus lebt, spricht viel dafür, dass hier eine besondere Härte vorliegt.

Gilt all das auch für die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung?

Nein. Das SGB XII stellt in § 102 Abs. 5 ausdrücklich klar, dass die Pflicht zum Kostenersatz durch die Erben nicht für Leistungen "nach dem Vierten Kapitel" des Gesetzes gilt. In diesem Kapitel sind die Leistungen zur Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung geregelt. Bei der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung gibt es keine Erbenhaftung. Erben von Leistungsbeziehern müssen demnach von ihrem Erbe (etwa: einem kleinen Einfamilienhaus) nicht für die von den Verstorbenen bezogenen Grundsicherungsleistungen aufkommen.

Bei der Grundsicherung im Alter (und bei voller Erwerbsminderung) gibt es im Regelfall keinen Unterhaltsrückgriff auf Angehörige. Das bedeutet vor allem: Im Normalfall werden bei dieser Leistung die Kinder der Betroffenen nicht zur Kasse gebeten. Damit soll Älteren der Zugang zu dieser Leistung erleichtert werden und somit Armut im Alter eingedämmt werden. Das Gesetz sagt: "Unterhaltsansprüche der Leistungsberechtigten gegenüber Kindern und Eltern bleiben unberücksichtigt, sofern deren jährliches Gesamteinkommen unter 100.000,– € liegt". Haben Grundleistungsbezieher mehrere Kinder, so gilt die 100.000-Euro-Grenze für jedes Kind einzeln. Ausschlaggebend ist dabei jeweils das Gesamteinkommen im Sinne von § 16 SGB IV. Das ist "die Summe der Einkünfte im Sinne des Einkommensteuerrechts; es umfasst insbesondere das Arbeitsentgelt und das Arbeitseinkommen". Im Klartext: Es zählen die Bruttoeinkünfte bereinigt um die Werbungskosten bzw. Betriebsausgaben.

Nach dem Entwurf des Unterhaltsentlastungsgesetzes, der im April vom Bundesarbeitsministerium in die Diskussion eingebracht wurde, soll die 100.000-Euro-Regelung künftig auch bei der "Hilfe zur Pflege" gelten. Das würde bedeuten, dass Angehörige von Pflegebedürftigen künftig im Regelfall für Pflegeaufwendungen nicht zur Kasse gebeten werden – außer im Erbfall.

(MS)

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