Entlastung für Kinder von pflegebedürftigen Eltern: Nur noch selten zur Kasse gebeten

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Mehr als 1.900,– € müssen Pflegebedürftige im Bundesdurchschnitt für einen Heimplatz aus eigener Tasche zuzahlen. Und auch die Preise für die Pflege zu Hause liegen oft weit über den Sätzen der Pflegeversicherung. Kurzum: Viele Pflegebedürftige können die Pflegekosten nicht aus eigenen Mitteln schultern. Deshalb springen die Sozialämter häufig ein: mit der Hilfe zur Pflege.

Kinder haften nicht mehr für ihre Eltern, wenn diese pflegebedürftig werden. Foto: AdobeStock

Bisher versuchen die Ämter jedoch, sich das Geld von den (oft selbst schon alten) Kindern der Pflegebedürftigen zurückzuholen. Ab 2020 soll das nur noch für diejenigen Kinder gelten, die ein Jahresbruttoeinkommen von über 100.000,– € haben. Das sieht das Angehörigen-Entlastungsgesetz vor.

Bisher gilt: Wenn die Eltern die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (4. Kapitel SGB XII) bekommen, dann ist jedes Kind nur dann zum Unterhalt verpflichtet, wenn sein Einkommen – nach Abzug der Werbungskosten – 100.000,– € brutto im Jahr übersteigt. Die meisten Senioren können deshalb heute die Grundsicherung beantragen, ohne befürchten zu müssen, dass ihre Kinder für sie aufkommen müssen.

Erhalten die Eltern dagegen Hilfe zur Pflege (7. Kapitel SGB XII) oder andere Leistungen des Sozialamts, dann gilt die 100.000-Euro-Grenze für die Kinder nicht. Die Ämter versuchen dann, das Geld zumindest zum Teil von den Kindern einzutreiben, denn grundsätzlich sind diese unterhaltspflichtig. Für etliche pflegebedürftige Senioren ist die Vorstellung, dass das Amt sich Geld von ihren Kindern zurückholt, schwer erträglich. Manche verzichten deshalb auf die Hilfe zur Pflege oder einen Umzug ins Pflegeheim.

Grundlegende Änderung ab 2020

All dies ändert sich ab 2020 grundlegend. Im Prinzip bleibt dann zwar die Unterhaltspflicht von Kindern gegenüber ihren pflegebedürftigen Eltern – und umgekehrt die Unterhaltspflicht von Eltern gegenüber ihren volljährigen Kindern – bestehen. Die meisten werden von den Sozialämtern aber nicht mehr zum Unterhalt herangezogen.

Zur Kasse gebeten werden nur noch Eltern (von volljährigen Kindern) und Kinder (von pflegebedürftigen Eltern) mit einem jeweiligen Jahresbruttoeinkommen ab 100.000,– €.

Wenn ein Pflegebedürftiger mehrere Kinder hat, dann zählt für die Einkommensgrenze nicht das Gesamteinkommen aller Kinder. Nur das Kind, das im Jahr auf mehr als 100.000,– € kommt, darf zur Kasse gebeten werden. Bei Menschen mit einer Behinderung, die Leistungen der Eingliederungshilfe bekommen, wird sogar völlig auf Elternbeiträge verzichtet. Hier werden also auch Eltern mit einem Jahreseinkommen über 100.000,– € entlastet.

Was zählt als Einkommen?

Nach § 94 Abs. 1a SGB XII kommt es auf das jährliche Gesamteinkommen im Sinne des § 16 des Vierten Buches an. Das bedeutet: Nicht nur das Arbeitsentgelt (brutto, nach dem Abzug von Werbungskosten) und der Gewinn aus selbstständiger Tätigkeit werden berücksichtigt, sondern auch Kapitaleinkünfte und Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung.

Das Einkommen der Schwiegerkinder bleibt außen vor. Es zählt nur das Einkommen der eigenen Kinder. Das bedeutet etwa: Wenn die Tochter eines Pflegebedürftigen nur einen Minijob hat, muss sie auch dann nicht zum Unterhalt für ihre pflegebedürftige Mutter beitragen, wenn ihr Ehepartner jährlich deutlich über 100.000,– € brutto verdient. Das Vermögen der Kinder spielt – soweit das Gesamteinkommen unter 100.000,– € liegt – künftig keinerlei Rolle mehr.

Vermutungsregel

Nur wenige in Deutschland verdienen 100.000,– € oder mehr im Jahr. Deshalb gehen die Sozialämter künftig im Regelfall davon aus, dass die Kinder der Pflegebedürftigen jährlich nicht mehr als 100.000,– € brutto zur Verfügung haben.

Die Sozialhilfeträger können jedoch, wenn es hinreichende Anhaltspunkte für ein Überschreiten der Jahreseinkommensgrenze gibt, entsprechende Belege über das Einkommen verlangen (etwa den letzten Steuerbescheid). So steht es im Gesetzentwurf.

Heranziehung zum Unterhalt wird gestoppt

Die Sozialhilfestatistik zeigt: Nur 77,5 Millionen Euro kassierten die Sozialämter 2018 von den Kindern der Empfänger von Hilfe zur Pflege – bei insgesamt 4 Milliarden Euro, die die Ämter hierfür ausgaben. Doch immerhin: Diese Einkommensquelle der Sozialämter versiegt Anfang nächsten Jahres. Ab Januar 2020 dürfen die Sozialämter die monatliche Unterstützungsrate nicht mehr vom Konto der meisten zahlenden Kinder der Pflegebedürftigen einziehen.

Nicht wenige unterhaltspflichtige Kinder und Eltern haben bislang freiwillig – und ohne Einschaltung des Sozialamts – die durch das Einkommen der Pflegebedürftigen und die Leistungen der Pflegeversicherung nicht gedeckten Pflegekosten übernommen. Ihnen ging es darum, die Dinge innerhalb der Familie und ohne das (ungeliebte) Sozialamt zu regeln. Immerhin forderte das Amt bislang – soweit es Hilfe zur Pflege leistete – von den Pflegebedürftigen selbst und von Angehörigen eine völlige Offenlegung ihrer Einkommens- und Vermögensverhältnisse.

Mehr Anträge auf Hilfe zur Pflege

Das ändert sich nun – zumindest für die Angehörigen – grundlegend. Im Prinzip können sie damit nun die freiwillige Zahlung der bisher geleisteten Ausgleichsbeträge einstellen. Dann muss beim örtlichen Sozialamt umgehend ein Antrag auf Hilfe zur Pflege gestellt werden. Das muss dann die pflegebedürftige Mutter oder der pflegebedürftige Vater selbst tun – außer wenn die Kinder oder andere Personen hierfür eine Vollmacht haben.

Bei der daraufhin vorgenommenen Bedürftigkeitsprüfung gibt es nur im Hinblick auf die Heranziehung der Kinder die beschriebene Entlastung. Die pflegebedürftigen Elternteile müssen dagegen nach wie vor ihre Bedürftigkeit nachweisen und nicht nur ihr eigenes Einkommen, sondern auch ihr Vermögen offenlegen. Das Einkommen muss – bis auf das sogenannte Taschengeld (derzeit: 114,48 € pro Monat) – voll eingesetzt werden, bevor das Sozialamt zahlt.

Beim Vermögen gilt nur ein Schonbetrag von 5.000,– €. Darüber hinausgehende Rücklagen müssen zunächst aufgebraucht werden, ehe das Sozialamt Hilfe zur Pflege leistet. Zusätzlich ist – soweit der Pflegebedürftige verheiratet ist und der Ehepartner noch lebt – auch das Einkommen und Vermögen des Partners zu berücksichtigen. Für Besitzer eines Hauses oder einer Eigentumswohnung wird der Verkauf der Immobilie unmittelbar zum Thema.

Pflegebedürftige und Angehörige, die wünschen, dass das Sozialamt für die Lücke bei der Pflegefinanzierung aufkommt, sollten sich in jedem Fall fachkundig beraten lassen. Eventuell kann das Pflegeheim beim Antrag auf Hilfe zur Pflege behilflich sein. Bei Pflegebedürftigen, die ambulant betreut werden, kann möglicherweise der Pflegedienst bei der Antragstellung helfen. Ein guter Ansprechpartner sind in jedem Fall Pflegeberatungsstellen.

Entscheidung fürs Heim wird erleichtert

Manche Pflegebedürftige haben bislang den Wechsel ins teure Pflegeheim aufgeschoben, um zu verhindern, dass ihre Kinder vom Sozialamt zur Kasse gebeten werden. Dieses Argument gegen einen Umzug entfällt ab 2020 in aller Regel. Daher könnte der Anteil der in Heimen betreuten Pflegebedürftigen künftig steigen.

Wichtig zu wissen: Pflegebedürftigen steht es – zumindest was die Pflegeversicherung betrifft – völlig frei, sich entweder für die ambulante oder stationäre Pflege zu entscheiden. Die Pflegeversicherung muss also den Umzug ins Pflegeheim nicht genehmigen. Etwas anders sieht es unter Umständen allerdings aus, wenn der Sozialhilfeträger mit ins Spiel kommt.

Überprüfung durch das Sozialamt nach wie vor möglich

Wenn beim Sozialamt im Zusammenhang mit einem geplanten Einzug in ein Pflegeheim Hilfe zur Pflege beantragt wird, prüft dieses, ob ein Wechsel ins Pflegeheim notwendig ist. Das Hauptaugenmerk dürfte dabei auf mögliche Alternativen zum Wechsel ins Pflegeheim gelegt werden. Dabei wird es um Fragen gehen wie:

  • Ist durch eine Wohnungsanpassung ein Verbleib in den eigenen vier Wänden möglich oder

  • kann durch eine verstärkte Nutzung einer Tagespflegeeinrichtung ein Wechsel ins Pflegeheim verhindert werden?

Die Klärung solcher Fragen ist möglicherweise durchaus im Interesse der Betroffenen. Unter Umständen kommen dabei auch interessante Alternativlösungen zustande.

Falls aber eine Betreuung in den eigenen vier Wänden nicht sichergestellt ist, darf das Sozialamt den Wechsel ins Pflegeheim nicht blockieren und es darf die Pflegebedürftigen auch nicht zur Wahl des billigsten Pflegeheims verpflichten. Das hat zuletzt nochmals das Bundessozialgericht (Az. B 8 SO 30/16) bekräftigt. Unter Heimen, mit denen der Sozialhilfeträger rechtmäßig Pflegesätze vereinbart hat (das sind die meisten Heime), dürfen die Betroffenen frei auswählen. Teure Seniorenresidenzen scheiden dagegen aus.

(MS)

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