Verjährung von Urlaubsansprüchen: EuGH nimmt Arbeitgeber in die Pflicht

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Zivilrechtliche Ansprüche verfallen regelmäßig nach drei Jahren. Verjährt dann also auch über Jahre angesammelter Urlaub? Die Frage, wie mit der allgemeinen Verfallfrist umzugehen ist, wenn es um Urlaubsansprüche geht, hatte das Bundesarbeitsgericht an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) gerichtet. Hier ist die Entscheidung.

 

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Gerade in Kleinbetrieben wird häufig mit Urlaubsansprüchen lax umgegangen. Zum Teil sammeln Arbeitnehmer Urlaubsansprüche jahrelang an, was ja gegebenenfalls auch sinnvoll sein kann: Etwa, wenn man später einen Langzeiturlaub nehmen möchte.

Wann können Urlaubsansprüche über mehrere Jahre angesammelt werden?

Informiert der Arbeitgeber die Betroffenen ausdrücklich, dass die Urlaubsansprüche verfallen, wenn sie nicht im jeweiligen Kalenderjahr bzw. in den ersten Monaten des Folgejahrs genutzt werden, so müssen sich Arbeitnehmer im Regelfall daran halten und ihren Urlaub nehmen – selbst wenn es gerade für sie unpassend ist.

Umgekehrt gilt: Macht der Arbeitgeber die Betroffenen nicht auf die Gefahr des Verfallens der Ansprüche aufmerksam, so funktioniert das Ansammeln von Urlaubsansprüchen. Man kann also jedes Jahr ein Urlaubskonto mit höheren Urlaubsansprüchen vor sich her schieben – wenn beide Seiten damit einverstanden sind.

Das ist der aktuelle Stand der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs. Doch längst nicht alles ist damit geklärt. Vor allem: Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) regelt in § 195, wann zivilrechtliche Ansprüche generell verfallen: Die regelmäßige Verjährungsfrist beträgt danach drei Jahre. Verjährt dann also auch der angesammelte Urlaub?

Die Frage, wie mit der allgemeinen Verfallfrist umzugehen ist, wenn es um Urlaubsansprüche geht, hatte das Bundesarbeitsgericht mit einem Urteil vom 29.9.2020 (Az. 9 AZR 266/20 (A)) an den Europäischen Gerichtshof gerichtet.

Darum ging es im Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof

Im konkreten Verfahren verlangte eine Steuerfachangestellte vom früheren Arbeitgeber, einer Kanzlei, die Abgeltung von Urlaubstagen aus dem Jahr 2017 und den Vorjahren. Der Arbeitgeber hatte sie weder aufgefordert, Urlaub zu nehmen, noch darauf hingewiesen, dass nicht beantragter Urlaub mit Ablauf des Kalenderjahres oder Übertragungszeitraums verfallen könne. Der Urlaub konnte daher nach den oben skizzierten generellen Verfallsregeln eigentlich nicht verfallen. Nach Meinung des Arbeitgebers waren die Urlaubsansprüche jedoch aufgrund der regelmäßigen dreijährigen Verjährungsfrist von § 195 BGB bereits verjährt. Die Frist sei bereits vor Ende des Arbeitsverhältnisses abgelaufen.

So entschied der EuGH

Das sah der EuGH anders. Entscheidend sei generell, dass Arbeitnehmer tatsächlich – durch eine Aufforderung des Arbeitgebers – in die Lage versetzt werden, ihren Urlaubsanspruch wahrzunehmen. Wenn der Arbeitgeber seine Beschäftigten auffordere, ihren Urlaub zu nehmen, könne der Anspruch verjähren, befand der EuGH am 22.9.2022 (Az. C-120/21). Das gelte hinsichtlich der dreijährigen Verjährungsfrist des BGB. Damit liege es in der Hand des Arbeitgebers, die Verjährungsfrist von drei Jahren in Gang zu setzen und die Geltendmachung von erhöhten Urlaubsabgeltungsansprüchen nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu vermeiden.

Was bedeutet das Urteil für Arbeitgeber und Arbeitnehmer?

Das EuGH-Urteil ermöglicht Arbeitgebern und Arbeitnehmern flexibel mit Urlaubsansprüchen umzugehen und diese in die Zukunft zu vertagen. Diese Möglichkeit dürfte vor allem von kleinen Unternehmen häufiger genutzt werden.

Allerdings: In Streitfällen, die sich nach langjährigem Ansparen von Urlaub entwickeln, können Arbeitnehmer schnell den Schwarzen Peter ziehen. So muss ein Unternehmen in der Lage sein, angesammelte Urlaubsansprüche – so sie später realisiert werden – zu stemmen. § 249 des Handelsgesetzbuchs verpflichtet Unternehmen zwar, für solche Situationen Vorsorge zu treffen. Dort heißt es: »Rückstellungen sind für ungewisse Verbindlichkeiten und für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften zu bilden«. Dazu gehören auch Verbindlichkeiten für die Lohnfortzahlung im Urlaub und das Urlaubsgeld, die in die Zukunft verschoben werden.

Sollten entsprechende Rückstellungen nicht gebildet worden sein, kann der Wunsch eines Arbeitnehmers, den Anspruch tatsächlich zu nutzen, einen Kleinbetrieb durchaus in die Insolvenz treiben.

Eine ausdrückliche gesetzliche Insolvenzsicherung ist für Urlaubsansprüche – anders als für betriebliche Langzeitkonten, in denen Lohnansprüche angespart werden – nicht vorgesehen. Kurz gesagt: Wer seinen Urlaub regelmäßig nimmt, lebt im Zweifelsfall nicht nur gesünder, sondern ist auch arbeitsrechtlich eher auf der sicheren Seite.

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(AI, MB)

URL:
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